Frau Niebler, hybride Attacken bedrohen die freie Welt. Wird die Sicherheit Europas jetzt auch im Cyberraum verteidigt?
An allen digitalen Fronten wird Krieg geführt, auf der Kommunikationsebene, in sozialen Medien, durch hybride Attacken auf sensible Infrastrukturen, im Weltraum. Wir erleben einen umfassenden Angriff auf alles, was Europa ausmacht. Deshalb ist es unsere Aufgabe, Cyberresilienz und Cybersicherheit nicht nur zu gewährleisten, sondern kontinuierlich auszubauen. Ja, die Sicherheit Europas wird längst auch im digitalen Raum verteidigt.
Wo brennt es besonders?
Ich denke vor allem an den Schutz digitaler Infrastrukturen. Ich erinnere an Versuche, Unterseekabel zu manipulieren, von denen in Europa Internet und digitale Kommunikation elementar abhängen. Klar ist, eine hundertprozentige Sicherheit kann es nicht geben. Klar ist aber auch, wir müssen diese Risiken minimieren – und zwar schnell.
Wie kann das gelingen?
Nun, etwa durch Meldepflichten für Cyberattacken und Sabotageversuche. Zudem versuchen wir, unsere eigenen Organisationen besser abzuschirmen, besser zu unterstützen. Wir bauen eine europäische Infrastruktur auf. Das EU-Programm Secure Connectivity ermöglicht eine gesicherte Satellitenkommunikation, so dass wir abhörsicher kommunizieren können. Das betrifft den öffentlichen Sektor ebenso wie den privaten. Wir haben Galileo aufgebaut und verfügen über ein eigenes GPS-System. Wir haben mit Copernicus ein unabhängiges Beobachtungssystem, mit dem wir wertvolle Geodaten generieren und teilen können. Es passiert also sehr viel in Europa. Aber natürlich müssen wir noch resilienter werden.
„Europas Sicherheit wird auch im digitalen Raum verteidigt“
Zählt dazu auch eine eigene europäische Chip-Industrie?
Wir müssen uns insgesamt unabhängiger machen. Die 43 Milliarden Euro, die wir für den Aufbau einer europäischen Chip-Industrie bereitstellen, sind ein erster Schritt in die richtige Richtung. Hinzu kommen 750 Milliarden Euro aus dem Programm zur Bekämpfung der Folgen der Corona-Pandemie sowie die Bemühungen, unsere europäische Energieversorgung von kritischen Anbietern zu entkoppeln. Stichwort: REpower EU. Wir waren in Europa über viele Jahre, nein, über Jahrzehnte zu naiv. Mehr als 70 Jahre Frieden haben uns blind gemacht gegenüber realen Gefahren. Der Krieg in der Ukraine hat uns schlagartig vor Augen geführt, dass das Gefühl ewiger Sicherheit ein Trugschluss war. Ich bin der festen Überzeugung, dass Europa robuster werden muss. Und dazu zählt auch, kritische Infrastruktur notfalls mit militärischen Mitteln zu verteidigen.
Elon Musk droht der Ukraine, den Zugang zum Satellitennetzwerk Starlink zu untersagen. Wie gefährlich ist es, dass private Unternehmer derart viel Macht besitzen, sogar auf Kriege entscheidend Einfluss nehmen zu können?
Zunächst möchte ich sagen: Auch bei uns in Europa gibt es Elon Musks. Wir haben intelligente, spannende, junge, hochinnovative Köpfe, Ausgründungen aus Universitäten, jede Menge Startups, die den Weltraum ebenso erobern können wie Elon Musk. Für diese neue Garde müssen wir Geld in die Hand nehmen. Es geht eben nicht nur um die großen Player. Wir müssen den jungen Innovativen eine Chance lassen, mit völlig neuen Ideen an den Start zu gehen. Deshalb müssen wir diese Start-Up-Szene finanziell unterstützen. In allen internationalen Rankings fällt Europa zurück. Da muss dringend etwas passieren. Musk macht uns vor, wie ein Unternehmen eine ganze Branche aufmischen kann. Fest steht: Ohne privates Unternehmertum wird es trotz aller möglichen Nachteile nicht gehen.
Am Himmel spionieren chinesische Ballone, in unseren digitalen Produkten chinesische Backdoors und Programme. Müssen wir unser Verhältnis zu China neu definieren?
Wir müssen eine europäische Antwort auf die chinesische Bedrohung finden. Das ist gar nicht so einfach. Beispiel Huawei: Frankreich schließt den chinesischen Konzern von Ausschreibungen
aus. Polen auch. Wir Deutschen sagen, die Chinesen dürfen keinen Zugang zu unseren Kernsystemen bekommen. Natürlich hat Deutschland als größte Volkswirtschaft in der EU andere wirtschaftliche Interessen als kleinere Mitgliedstaaten. Dennoch müssen wir einheitlich agieren. Die Europäische Cyber-Sicherheitsbehörde ENISA hat schon ein Zertifizierungsschema für den
Aufbau der 5G-Netze entwickelt. Die Praxis zeigt aber, dass die Mitgliedstaaten diese unterschiedlich interpretieren. Wichtig ist, dass wir uns von Peking nicht auseinanderdividieren lassen.
„Ich finde es ärgerlich, dass Europa noch immer keine eigene Cloud hat.“
Muss das Einstimmigkeitsprinzip kippen?
Ich bin fest davon überzeugt, dass wir jedenfalls in der Außenpolitik zu Mehrheitsentscheidungen kommen müssen. Sonst sind wir global nicht handlungsfähig und werden nicht ernst genommen.
Gilt das auch für die fehlende europäische Cloud?
Ich finde es ärgerlich, dass Europa noch immer keine eigene Cloud hat. Nach einem ersten Anlauf ist es aber um Gaia-X wieder still geworden. Wir sollten Gaia-X wiederbeleben, um uns unabhängiger von den USA und den großen amerikanischen Cloud-Anbietern zu machen. Das kann die Politik nicht alleine leisten. Um das zu erreichen, müssen private Unternehmen von der dringenden Notwendigkeit einer solchen Cloud als gutes Investment überzeugt sein.
Der Ukraine-Krieg hat gezeigt, wie wenig souverän Europa gerade in sensiblen Bereichen ist. Wird sich das ändern?
Wir müssen unsere Abhängigkeiten reduzieren, Diversifizierung ist das Gebot der Stunde. Allerdings beunruhigt mich neben der Ukraine ein weiterer Brennpunkt: Taiwan. Wenn es dort zu einer Auseinandersetzung mit China kommt, werden die direkten Auswirkungen auf Europa um ein Vielfaches größer sein.
Wie sehr hat das Zögern der Bundesregierung bei Waffenlieferungen an die Ukraine dem Ansehen Berlins geschadet?
Das Vertrauen in Deutschland als verlässlicher Partner hat sehr gelitten. Einen so verheerenden Imageschaden habe ich bislang noch nicht erlebt. Es wird lange dauern, das Ansehen, das sich
Deutschland über Jahrzehnte mühsam aufgebaut hat, wiederherzustellen. Das Zögern Deutschlands hat dazu geführt, dass westliche Waffensysteme und Munition viel zu spät in der Ukraine
ankommen. Das wird sich vermutlich noch bitter rächen.
Kommen wir zurück zum Digitalen. Würden Sie Ihren Kindern erlauben, cloudbasierte Sprachdienste wie Alexa zu benutzen?
Einer meiner Söhne fand dies spannend. Aber ich habe es sofort abgelehnt. Natürlich bieten smarte Geräte auch Chancen. Viele erleichtern das Leben ungemein und bieten einen Mehrwert.
Wir dürfen aber nicht naiv sein. Jedes Wort, jedes Foto, jede Information, die wir diesen Geräten anvertrauen, werden irgendwo gespeichert und könnten für Zwecke verwendet werden, die
uns nicht gefallen. Das müssen wir immer bedenken. Datenschutz muss gerade auch im Netz gelten. Wir haben im Europaparlament sehr unterstützt, dass Cybersicherheit auch bei der Produktentwicklung mitgedacht wird, zum Beispiel durch Security by Design oder Security by Default. Und das ist gut so. Aktuell arbeiten wir auch an einem Rechtsrahmen, der klärt, wem die Daten von vernetzten Geräten gehören und wer hierauf Zugriff hat.
Entwickelt sich Europa zu einem vorbildlichen digitalen Raum, gerade im Vergleich zu den USA oder China?
Ich glaube, dass wir einen guten Job gemacht haben. Ob DMA (Digital Markets Act), DSA (Digital Services Act) oder DGA (Data Governance Act): Wir Europäer sind Trendsetter und haben mit diesen drei Gesetzespaketen einen Rechtsrahmen gesetzt, der auf der Welt seines Gleichen sucht. Erstens, um Fair Play im Internet durchzusetzen. Zweitens, um Plattformzugang für Mittelständler, kleinere Unternehmen und Startups zu gewährleisten. Und drittens, um die großen Plattformbetreiber in die Verantwortung zu nehmen, was Inhalte betrifft, die über sie verbreitet und kommuniziert werden.
Kann so das Vertrauen der Verbraucher in digitale Produkte und Dienste dieser Unternehmen gestärkt werden?
So ist es. Das gilt auch für die Datenökonomie. Wenn kein Vertrauen in die Datenstruktur vorhanden ist, werden wir Europäer es nie schaffen, eine eigene Datenökonomie aufzubauen und das Teilen von Daten salonfähig zu machen. Wir brauchen einen Rechtsrahmen, der den Datenschutz verankert und so das Vertrauen stärkt, ruhigen Gewissens Daten teilen zu können – anonymisiert und pseudonymisiert. Wir wollen unabhängige Intermediäre schaffen. Ich bin davon überzeugt, dass das der richtige Ansatz ist.
Ist Europa überreglementiert?
Vieles in der EU ist gut gemeint, aber schlecht gemacht. Oft schießen wir über das Ziel hinaus, zum Beispiel bei den Vorgaben zur Nachhaltigkeit. Viele bürokratische Auflagen belasten unsere innovativen mittelständischen Betriebe. Beispiele hierfür sind die Regeln zur Taxonomie, zur Nachhaltigkeitsberichterstattung, im Lieferkettengesetz, in der Entwaldungsverordnung, der Ökodesign-Richtlinie, den Vorschriften zur Kreislaufwirtschaft und den neuen Regelungen zur Produktsicherheit, um nur einige zu nennen. Ich erlebe auf Seiten der Wirtschaft wahnsinnig viel Frust und viel Ärger. Mit dermaßen überbordender Bürokratie und Regulatorik rauben wir den Unternehmen die Luft zum Atmen. Da müssen wir besser werden. Erstaunlicherweise
erlebe ich genau das im digitalen Umfeld nicht. Da sind die Unternehmen wesentlich entspannter – noch. Denn auch hier gilt: Wir dürfen den Bogen nicht überspannen.
Warum ist der Anteil von Frauen in Tech-Berufen noch immer so gering?
Ich glaube, wir müssen bereits in den Kindergärten damit anfangen aufzuzeigen, wie wichtig naturwissenschaftliche und technische Berufe sind – für Jungen und für Mädchen. Wir müssen die Männerdominanz in diesen Berufen schnell brechen. Denn sonst werden Voreinstellungen, Strömungen und Entwicklungen ausschließlich auf eine von Männern geprägte Gesellschaft ausgerichtet. Und das kann es nicht sein!
Angelika Niebler, geboren 1963 in München, ist seit 1999 Mitglied des Europäischen Parlaments in der EVP-Fraktion. Seit der Europawahl 2009 ist sie Mitglied im Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie und Stellvertreterin im Rechtsausschuss. Die promovierte Juristin arbeitet neben ihrer Tätigkeit im Europäischen Parlament als Anwältin und ist seit 2016 Honorarprofessorin an der Hochschule für angewandte Wissenschaften München.
Niebler ist stellvertretende Parteivorsitzende der CSU und Landesvorsitzende der Frauenunion. In dieser Funktion setzte sie im Jahr 2010 für die Parteiämter der CSU eine Frauenquote durch. Seit November 2018 ist sie außerdem Präsidentin des Wirtschaftsbeirats der Union e.V.
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