Strack-Zimmermann kritisiert Angela Merkels Politik scharf und findet, dass Scholz in Bezug auf Waffenlieferungen an die Ukraine schlechte Beratung erhält.bezüglich

Frau Strack-Zimmermann, binnen kürzester Zeit haben Sie sich zu einer profilierten Stimme im Berliner Politikbetrieb gemausert. Sie nehmen zu Sicherheits- und Verteidigungsfragen kein Blatt vor den Mund. Besonders pointiert äußern Sie sich auf Twitter, was längst nicht allen gelingt. Warum sind Sie ausgerechnet in diesem sozialen Netzwerk so aktiv und derart erfolgreich?

Ich bin vor Jahren, noch vor meinem Einzug in den Bundestag, von einem Mitarbeiter – milde ausgedrückt – dazu gedrängt worden, mich auf Facebook zu äußern. Und ganz ehrlich: Da hatte ich anfänglich null Bock drauf. Ich wollte mich nicht jeden Tag für meine Äußerungen rechtfertigen müssen. Mir war aber bewusst, dass man in der Politik soziale Medien braucht. Also kam nach Facebook auch Twitter dazu und später in Berlin auch Instagram. Mir ist klar, dass ich mich insbesondere auf Twitter in einer Berliner Politikblase bewege. Aber ich mag das. Ich mag diese Mischung aus Ernsthaftigkeit und Humor, und dass man auch ein bisschen ironisch und zynisch sein darf. Ich mag das Kurze, das Präzise. Und das kapieren die Leute auch, die sich in diesem Netz aufhalten. Ich finde es auch deswegen spannend, weil ich ungefragt meine Meinung sagen kann und es durchaus einige Journalistinnen und Journalisten gibt, die das aufgreifen. Ich kann mich einbringen. Und das gefällt mir.

Mit Erfolg. Sie haben weit mehr sogenannte Follower als viele professionelle politische Influencer, die sich im Netz bewegen.Ihr Tweet zu Ukraine-Aussagen von SPD-Kollege Ralf Stegner „Was darf Satire?“ provozierte tausende von Reaktionen…

Ich bin manchmal selbst überrascht. Es gibt selbstverständlich genauso viele Leute, die mich genau deshalb zum Kotzen finden. Aber wissen Sie was? Das ist mir so was von egal.

Vermutlich verschafft Ihnen genau das so hohe Sympathiewerte: ihre direkte, unverblümte, humorvoll rheinländische Art. Hart in der Sache, klar im Ausdruck, fair in den Umgangsformen. Wundert es Sie da noch, dass Sie immer häufiger für die bessere Verteidigungsministerin gehalten werden?

Ich freue mich, dass mir viele zutrauen, eine gute Ministerin zu sein, obwohl ich das noch nie unter Beweis stellen konnte. Einige wird es dennoch oder gerade deshalb wundern: Ich arbeite mit Verteidigungsministerin Christine Lambrecht gut zusammen und finde es unnötig, ihr immer wieder eine vor den Koffer zu hauen. Politik ist zwar kein Feld, in dem es gerecht zugeht. Aber diese schwierige Ministerium zu übernehmen und 80 Tage später in Verantwortung mit einem Krieg in Europa konfrontiert zu werden, das ist schon harter Tobak, den keiner ihrer Vorgängerinnen und Vorgänger im Entferntesten hat erleben müssen. Da wäre etwas mehr Respekt der Ministerin und ihrer Aufgabe gegenüber durchaus angebracht.

Konnte man den Einmarsch Russlands in die Ukraine tatsächlich nicht voraussehen? Krieg herrscht im Osten des Landes bereits seit 2014. Die Krim wurde seinerzeit von Putins Truppen okkupiert. Es waren keine grünen Männchen, die dort einmarschierten, sondern russische Soldaten, wie längst jeder weiß. Wie konnten vor diesem Hintergrund noch Verträge zum Bau der Ostseepipeline Nordstream 2 abgeschlossen werden?

Niemand hat so richtig geglaubt oder glauben wollen, dass Moskau diesen brutalen, völkerrechtswidrigen Überfall auf die Ukraine starten würde. Das liegt auch daran, dass wir es bei den meisten unserer Entscheidungsträgern mit Menschen zu tun haben, die zwischen den Fünfzigern und Siebzigern geboren wurden und schlichtweg in Frieden und gesellschaftlichem Wohlstand groß geworden sind. Krieg als militärisches Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele steht für die meisten dieser Menschen nicht mehr auf der Agenda. Zunächst ist das natürlich eine gute Nachricht, dass Deutschland, welches in der Geschichte brutale Weltkriege ausgelöst hat und für die Shoa Verantwortung trägt, gelernt hat, wie Demokratie funktioniert. Dazu gehört die politische Debatte und, dass nach einer Wahl friedliche Regierungsübergänge stattfinden. In vielen anderen Staaten ist das unvorstellbar. Das alleine schon ist ein hohes Gut. Aber genau deshalb haben viele gar nicht mehr auf dem Schirm gehabt, dass das auch mal wieder zu Ende sein könnte. Nun erfahren wir schmerzhaft, dass es diese Despoten immer noch gibt und sie bereit stehen, andere Länder zu überfallen und im wahrsten Sinne des Wortes Grenzen bereit sind zu überschreiten.

Das erfahren wir im Falle des russischen Präsidenten Wladimir Putin nicht erst jetzt. Wir konnten ihn 2003 in Tschetschenien beobachten, wir konnten ihn 2008 in Georgien beobachten.

Dass die Bundeskanzlerin Angela Merkel ein Jahr nach der Annexion der Krim den Bau einer Pipeline durch die Ostsee forciert und das Projekt als rein wirtschaftlich bezeichnet hat, ist unverzeihlich. Jeder musste und konnte wissen, welche geopolitischen Folgen diese Gaspipeline zwischen Russland und Deutschland nach sich ziehen würde. Es ging Moskau auch darum, die Ukraine kalt zu stellen. Jeder konnte wissen, dass wir mit dem Gas aus Nordstream 2 irgendwann die Leitungen, die durch die Ukraine verlaufen, nicht mehr benötigen werden. Bei allem Respekt vor Angela Merkel, sie hat Deutschland und Europas einen unverzeihlichen Bärendienst erwiesen. Sie wollte den Bau der Pipeline ohne wenn und aber. Das ist schlimm genug und auch geschichtsvergessen. Es ist gut, dass Deutschland sich jetzt schnellstmöglich aus der Energieabhängigkeit Russlands befreit und andere unterschiedliche Energiequellen erschließt. Nordstream 2 ist und bleibt tot.

Bleibt sie das wirklich?

Fehler dürfen sich nicht wiederholen. Das gilt auch für das Verhältnis zum Iran. Wir müssen genauer hinschauen, was dort passiert. Was China betrifft, wurde jetzt endlich die Nato-Doktrin angepasst. China ist eine ernsthafte Bedrohung für die Welt. Unvorstellbar, dass das seit 2010 im transatlantischen Verteidigungsbündnis nie auf der Agenda stand und die Große Koalition nie eine wirtschaftliche geschweige denn eine sicherheitspolitische China Strategie entwickelt hat.

Russland galt bis vor Kurzem noch als strategischer Partner.

Wir müssen endlich aufhören, so unfassbar naiv zu sein. Unsere Naivität gegenüber Terrorstaaten, Despoten und Autokraten ist wirklich erschreckend groß. Und sie ist es in Teilen immer noch.

Können Sie denn keine Lernkurve feststellen bei denjenigen, die seinerzeit die Verantwortung für diese Entscheidungengetroffen haben?

Der Bundeskanzler war lange Zeit Finanzminister und in Regierungsverantwortung. Scholz weiss, was in der Welt passiert. Ich glaube, dass er nicht naiv bei der Bewertung der Lage ist. Das gilt aber längst nicht für seinen Beraterstab. Deren Lernkurve dort ist zum Teil überschau. Sein Berater hat sich mal beschwert darüber, dass in Deutschland zu viel über Panzer gesprochen würde. Diese Berater blockieren Waffenlieferungen an die Ukraine, weil sie immer noch nicht verstanden hat, was gerade passiert: es geht darum, dass unser Leben in Freiheit und Demokratie massiv gefährdet ist. Wer das nicht versteht, muss wachgerüttelt werden.

Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig hat viel Geld aus Russland über eine dubiose Umweltstiftung zugunsten von Nordstream 2 annehmen lassen, hat erst gegen Waffen, dann wieder dafür plädiert. Nun trommelt sie für ein finanzielles Abfedern sozialer Härten, verursacht durch den Ukrainekrieg und die daraus resultierende Energiekrise.

Frau Schwesig scheint in ihren Aussagen, ich sage es mal so, sehr beweglich zu sein.

Sieht so die von Scholz beschworene Zeitenwende aus?

Herr Scholz hat bislang zu diesem Thema drei grundsätzlich sehr gute Reden gehalten. Reden ist das eine. Handeln aber das andere. Die Menschen schauen zu Recht genau hin, was und wie schnell etwas passiert. Nach der ersten Rede vom 27. Februar wurde es erschreckend still. Ich dachte damals, ich sei im falschen Programm. Dann haben wir aus dem Parlament heraus Druck gemacht und die Ukraine bekam, neben der wirtschaftlichen und humanitären Unterstützung erstmals auch Waffen geliefert.

Ein paar Panzerhaubitzen und Geparde…

Das sind sehr wirkungsvolle Systeme an denen die ukrainischen Soldaten in Deutschland auch in Zukunft ausgebildet werden. Über die Auswahl der Systeme kann man lange streiten, zumal wir vor allem für den Flugabwehrkanonenpanzer Gephard zu wenig Munition haben, da das System schon vor Jahren bedauerlicherweise, obwohl es für lange Zeit einen Eckpfeiler der Flugabwehr des Heeres gewesen ist, ausgemustert wurde.

Ist Deutschland zu ängstlich, zu zögerlich? Begeht es wieder einmal einen historischen Fehler?

Die Ukraine kämpft schlicht und ergreifend ums Überleben. Und deshalb haben wir als FDP vorgeschlagen, unter anderem über das hinaus, was wir bereits geliefert haben, auch 50 Schützenpanzer Marder aus dem Bestand der Bundeswehr zu liefern. Die würden in einem Jahr der Bundeswehr aus dem Bestand der Industrie wieder zugeführt werden. Dieser Angriff auf die Ukraine ist ein Angriff auf die freie westliche Welt, der wir uns stellen müssen, und es stünde uns auch bündnistechnisch sehr gut zu Gesicht, mal einen Schritt nach vorne zu gehen ohne immer darauf zu warten, wer von den Partnern den ersten Schritt macht. Ich weiss, dass die internationale Gemeinschaft das von uns auch wartet.

Glauben Sie, Europa hat verstanden, dass es sicherheitspolitisch geeinter und selbstbewusster auftreten muss?

Dieser Krieg hat Europa aufgeweckt. Das Bündnis steht zusammen, mehr denn je. Jetzt müssen wir diesen Mindset in die Bevölkerung transportieren, ohne Angst und Schrecken zu verbreiten. Wir brauchen in Europa mehr Gemeinsames. Auch mehr gemeinsame Waffensysteme, sowohl im Einkauf, in der Nutzung und in der Wartung. Dabei würden wir auch Synergieeffekte heben. Dazu benötigen wir eine neue Infrastruktur. Die europäische Säule innerhalb der Nato sollten wir in Zukunft deutlich stärken. Der Eintritt Finnlands und Schwedens trägt verstärkt auch dazu bei.

Braucht Europa einen eigenen Atomschutzschild? Zur Abschreckung?

Wir haben uns für die atomare Teilhabe auch im Koalitionsvertrag ausgesprochen. Zur nuklearen Teilhabe gehört, dass die beteiligten Staaten, auch Deutschland, die technischen Voraussetzungen zum Einsatz von Nuklearwaffen bereithalten und auf ihrem Territorium US Nuklearwaffen lagern lassen. Das bedeutet, dass es in Europa bereits eine wirkungsvolle Abschreckung gibt.

Bislang befürwortet eine Mehrheit innerhalb der Europäischen Union eine klare gemeinsame Haltung gegenüber Russland. Könnte sich das ändern?

Die große Mehrheit der Menschen in der Bundesrepublik sind für die Unterstützung der Ukraine. Natürlich kann sich das ändern, wenn wir das Thema bezahlbare Energie zum Beispiel nicht schnellstmöglich lösen und die Menschen persönlich zu spüren bekommen, dass der russische Angriffskrieg und die Folgen daraus sich auch in ihrem Leben unmittelbar bemerkbar macht. Es wird an uns der Politik aber auch der Presse liegen, wie weit wir diese Situation der Öffentlichkeit erklären. Wir sollten nicht dabei zusehen, wie wir Putins Plan auf dem Leim gehen, uns in Europa zu entzweien. Wir müssen an der Seite der Ukraine stehen und dürfen unter keinen Umständen zulassen, dass diese Werte basierte Welt zulässt, dass ein Land ein anderes Land überfällt und damit auch noch Erfolg hat. Das ist die Lehre auch aus dem grauenvollen Zweiten Weltkrieg.

Wird Putins Armee nach der Ukraine andere Ziele anvisieren? Etwa das Baltikum?

Die Verteidigungsfähigkeit der Nato steht. Und hinter ihr eine Milliarde Bürgerinnen und Bürger, die sich darauf verlassen, weiter in Frieden und Freiheit leben zu können.

Die FDP-Bundestagsabgeordnete Marie-Agnes Strack-Zimmermann wurde 1958 in Düsseldorf geboren. Sie ist promovierte Politikwissenschaftlerin und Publizistin. Die Mutter von drei Kindern ist Mitglied des FDP-Bundesvorstandes und des Vorstands der FDP-Bundestagsfraktion. Von 2008 bis 2014 war sie Erste Bürgermeisterin und damit Stellvertreterin des Oberbürgermeisters der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt Düsseldorf. Seit der Bundestagswahl 2017 ist sie Mitglied des Deutschen Bundestages. Sie ist seit 2021 Vorsitzende des Verteidigungsausschusses.


Copyright Headerbild: M.-A. Strack-Zimmermann / Cord C. Schulz