Im Juni 2020 haben EU-Kommission, Europäisches Parlament und Rat – im übertragenen Sinne – mit dem Bau eines Kartenhauses begonnen. Damals trat eine Verordnung in Kraft, die nachhaltige Investitionen erleichtern soll [s. dazu auch cepAnalyse]. Diese Verordnung, kurz grüne Taxonomie, soll Unternehmen und Investoren als Fundament dienen. Ziel: Kapital, Ressourcen und Knowhow sollen verstärkt in wirtschaftliche Bereiche fließen, die als ökologisch nachhaltig gelten. Aktivitäten, die dagegen nicht als „grün“ eingestuft werden, sollen leer ausgehen. Die Verordnung wurde in den vergangenen Jahren schrittweise ergänzt. In den kommenden Monaten und Jahren sollen weitere Änderungen folgen. Brüssel baut damit ein fragiles Gesamtkonstrukt, das gleich aus mehreren Gründen latent einsturzgefährdet ist. Denn nicht nur das Grundgerüst wirft Zweifel nach seiner langfristigen Tragfähigkeit auf. Auch die bereits gebauten und noch zu bauenden Etagen stehen auf wackeligen Pfeilern.

Verordnung zur grünen Taxonomie: das wackelige Grundgerüst

Beginnen wir mit dem Grundgerüst, der Verordnung zur grünen Taxonomie. Diese legt die Bedingungen fest, die erfüllt sein müssen, damit eine Wirtschaftstätigkeit als ökologisch nachhaltig gelten kann. Hierfür muss die Wirtschaftstätigkeit insbesondere wesentlich zu mindestens einem von sechs Umweltzielen beitragen und darf keines dieser sechs Umweltziele erheblich beeinträchtigen. Zudem muss ein Mindestschutz etwa bezüglich Menschen- und Arbeitsrechten gewährleistet sein.

Das Grundgerüst der grünen Taxonomie

Bereits dieses Grundgerüst steht auf tönernen Füßen. Denn es wird versucht, wirtschaftliche Aktivitäten politisch gesteuert in gut und böse einzuteilen. Erfüllt eine Tätigkeit die genannten Bedingungen nicht, ist sie letztlich nicht mehr Teil des gemeinsamen Hauses. Der Zugang zu Finanzkapital für diese Aktivitäten ist erschwert, und ihre Finanzierung wird perspektivisch teurer. Unternehmen, deren Tätigkeiten dagegen den Segen erhalten, ökologisch nachhaltig zu sein, können sich freuen. Ihre Finanzierung wird erleichtert. Nun könnte man argumentieren, dass die Transformation der europäischen Wirtschaft hin zu mehr Nachhaltigkeit auch bedeuten muss, dass Finanzkapital nicht länger in „schmutzige“ Sektoren fließen sollte und die grüne Taxonomie hierfür ein wirksamer Hebel sein könnte. Dies verkennt aber mindestens zweierlei. Erstens basiert die grüne Taxonomie auf der Annahme, dass die Politik – in diesem Fall die Kommission, das Europäisches Parlament und die Mitgliedstaaten – genau zu wissen vermag, welche Wirtschaftstätigkeiten auch künftig als ökologisch wünschenswert gelten können und sie dadurch selbst einen Wissensvorsprung gegenüber den Marktakteuren haben. Dies ist jedoch eine Anmaßung von Wissen, die einer freien Marktwirtschaft nicht gut zu Gesicht steht. Stattdessen hat die grüne Taxonomie eher planwirtschaftlichen Charakter. Sie überlässt nicht länger den Marktakteuren die freie Entscheidung. Stattdessen setzt sie diese unter Zugzwang, den politischen Vorgaben Folge zu leisten. Und zweitens gibt es vielversprechende und auf marktwirtschaftlichen Instrumenten basierende Alternativen für eine politische Zentralsteuerung der nachhaltigen Transformation. Dabei ist insbesondere auf das europäische Emissionshandelssystem zu verweisen, das klimaschädlichen Tätigkeiten ein Preisschild gibt. Mit diesem werden Unternehmen dazu angeregt, nach CO2-armen Technologien Ausschau zu halten, ohne dass ihnen die Politik vorgeben muss, was das im Einzelfall sein soll. Auf diesem Wege findet eine effiziente Allokation knapper Ressourcen statt. Sie macht eine Feinsteuerung über ein staatliches Kapitalsteuerungsinstrument, wie es die grüne Taxonomie ist, überflüssig.

Die auf EU-Ebene etablierte und beschlossene grüne Taxonomie ist aus ökonomischen und insbesondere ordnungspolitischen Gesichtspunkten nicht notwendig. Unrealistisch ist jedoch, dass sie zeitnah wieder eingemottet wird. Das wacklige Grundgerüst bleibt demnach stehen. Und die Bauarbeiten gehen weiter.

Klimataxonomie als instabile erste Etage

Am 4. Juni 2021 baute die Kommission eine erste Etage in das Kartenhaus ein, indem sie einen delegierten Rechtsakt mit technischen Bewertungskriterien zu den beiden klimabezogenen Umweltzielen (Umweltziele 1 und 2) annahm. Dieser Rechtsakt, der unter dem Schlagwort Klimataxonomie noch relativ geräuschlos seinen Platz einnahm, war jedoch nur der Auftakt für eine hochpolitische Debatte, die zum Jahreswechsel 2021/2022 Anlauf nahm und am 9. März 2022 in eine Erweiterung der Klimataxonomie mündete. Erst mit dieser Ergänzung drang die Taxonomie ins Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit und legte ihre Schwächen offen. Denn es wurde beschlossen, dass bestimmte Tätigkeiten zur Energieerzeugung aus Kernenergie und Erdgas als ökologisch nachhaltig gelten können (s. dazu auch  cepInput]. Mit dieser Einstufung waren jedoch viele Akteure nicht einverstanden, sowohl auf politischer Ebene, aber insbesondere auch in der Zivilgesellschaft. Umweltverbände wie etwa Greenpeace gehen nun sogar juristisch dagegen vor. Die Glaubwürdigkeit der geriet erstmals ins Wanken. Zweifel wurden laut an einer wissenschaftsbasierten und möglichst objektiven und konsistenten Klassifizierung, die dem Klimaschutz und der Anpassung an den Klimawandel dienen sollen. Marktakteure begannen, ihr Vertrauen zu verlieren. Dabei ist wenig erstaunlich, dass die Glaubwürdigkeit in Frage gestellt wird; auch unabhängig davon, wie die europäischen Entscheidungsträger sich konkret zur Kernkraft oder zu Erdgastechnologien positioniert hätten. Denn es spiegelt schlicht die Tatsache wider, dass es kein objektives oder einheitliches Verständnis von Nachhaltigkeit gibt und geben kann. Es scheint logisch, dass verschiedene Akteure zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Jeder nutzt zur Nachhaltigkeitseinstufung unterschiedliche Kriterien und gewichtet diese auf seine jeweils eigene Art und Weise. Dass der Kriterienkatalog und die Gewichtung der EU-Kommission über alle Einwände erhaben und andere Ansätze diesem Weg in jedem Fall unterlegen sind, ist jedenfalls wenig realistisch. Gleichzeitig werden diese alternativen Ansätze jedoch weitgehend von der hoheitlich festgelegten Taxonomie im Rahmen der Regulatorik verdrängt. Der Wettbewerb um das beste Nachhaltigkeitsverständnis wird eingeschränkt.

Wirklich „grün“? Mit Kerosin angetriebene Flugzeuge sollen in die Grüne Taxonomie aufgenommen werden.

Nichtsdestotrotz wird fleißig weiter gewerkelt. Am 5. April 2023 hat die Kommission nun zwei weitere delegierte Rechtsakte zur Ausgestaltung der grünen Taxonomie als Entwürfe vorgelegt; interessanterweise zu einem Zeitpunkt, zu dem die politischen Entscheidungsträger und viele Interessenträger ihren Urlaub genossen und sich auf das Osterfest freuten – ein mittlerweile bekanntes Muster. Sie wurden zudem von einer kurzen Frist zur Stellungnahme – Deadline: 3. Mai – überrascht.

Dabei will die Kommission in einem Rechtsakt die Klimataxonomie erneut anpassen und damit die erste Etage weiter ausbauen. Ziel ist es, technische Bewertungskriterien für bestimmte Wirtschaftstätigkeiten festzulegen, die bisher keine Berücksichtigung gefunden haben. Dabei geht es etwa um Produktionstätigkeiten rund um kohlenstoffarme Verkehrsmittel und elektrische Geräte sowie um bestimmte Übergangstätigkeiten im Verkehrssektor (Schifffahrt und Luftfahrt).

Umwelttaxonomie als zweite Etage

Zudem legte die Kommission in einem zweiten Rechtsaktentwurf die ersten technischen Bewertungskriterien für die Umweltziele 3 bis 6 (Umwelttaxonomie) vor. Um im Bild zu bleiben: Sie begann mit den Arbeiten an der zweiten Etage. In diesem Rechtsakt konzentriert sich die Kommission zunächst auf Wirtschaftstätigkeiten etwa in den Bereichen verarbeitendes Gewerbe, Wasserversorgung und Abwasserentsorgung und verzichtet zunächst auf Kriterien zu Wirtschaftstätigkeiten, etwa in der Land- und Forstwirtschaft oder auch der Fischerei. Die Umwelttaxonomie ist zwar als nächster Schritt durchaus folgerichtig, da der Umweltschutz nicht allein auf den Klimaschutz verengt werden sollte. Sie wird aber die Komplexität der Taxonomie weiter erhöhen und Zielkonflikten verschärfen.

Streit ist jedenfalls auch bei diesen beiden vorgelegten Rechtsakten vorprogrammiert. Denn insbesondere die Flugzeug- und Schifffahrtsbranchen gelten gemeinhin nicht als Leuchttürme für Nachhaltigkeit. Dennoch werden bestimmte Flugzeuge, die mit fossilen Brennstoffen angetrieben werden, als ökologisch nachhaltig eingeordnet. Und auch bestimmte LNG-betriebene Container- und Kreuzfahrtschiffe sollen beispielsweise als grün eingestuft werden. Ob dies der Glaubwürdigkeit der grünen Taxonomie nun schadet oder nicht, ist wiederum eine Frage des Betrachters und dessen Nachhaltigkeitspräferenzen. Sie rüttelt jedenfalls am Fundament des Kartenhauses und macht auch die zweite Etage instabil. Letzlich ist die höchste Währung Vertrauen.

Ende der Regulatorik nicht in Sicht

Und ihr werden einige weitere Etagen folgen. Auch wenn die Klimataxonomie einmal vollendet und die Umwelttaxonomie in Gänze ausbuchstabiert ist, gehen die Arbeiten weiter. So könnten in den nächsten Jahren weitere Untertaxonomien entwickelt werden, etwa für wirtschaftliche Tätigkeiten mit einer mittleren Nachhaltigkeitsleistung, die weder erheblich schädliche noch wesentlich positive Nachhaltigkeitsleistungen aufweisen oder auch für Aktivitäten mit nur geringen Umweltauswirkungen. Auch eine Taxonomie für sozial wünschenswerte Tätigkeiten steht weiterhin im Raum. Mögliche weitere Taxonomien könnten zwar teilweise die Probleme eines verengten Nachhaltigkeitsbegriffes abmildern. Doch egal welche Tätigkeiten die Kommission in die grüne Taxonomie zusätzlich aufnimmt oder ausschließt: Es wird immer Akteure geben, die das Ergebnis als Missachtung ihrer Nachhaltigkeitspräferenzen sehen und der Taxonomie damit keinen Segen geben. Die grüne Taxonomie könnte wie ein Kartenhaus zusammenstürzen.

Philipp Eckhardt ist wissenschaftlicher Referent für Finanzmärkte und Informationstechnologien am Centrum für Europäische Politik in Freiburg im Breisgau. Seine Spezialgebie sind Grüne Taxonomie, Kryptowerte und Cybersicherheit. Eckhardt studierte Volkswirtschaftslehre an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau.

 

 


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