„Wer die Technologie beherrscht und die Infrastrukturen besitzt, hat die Macht.“

Das Ziel von Elon Musk besteht laut eigener Aussage darin, Twitter nach dessen Kauf zu einer globalen Plattform der Redefreiheit zu machen. Dazu muss er Twitter von Hass und Desinformation befreien. Kann das gelingen mit Twitter, das doch, wie fast alle anderen Sozialen Netzwerke, den Diskurs qua Algorithmus radikalisiert, von der Mitte an die extremen Ränder führt und Spaltung schürt? Die Aufmerksamkeitsökonomie funktioniert, das ist gut belegt, psychologisch am besten mit negativen, kontroversen, extremen und beleidigenden Inhalten. Nirgendwo lässt sich das besser beobachten als ausgerechnet auf Twitter, wo selbst seriöse Journalisten und renommierte Wissenschaftler sich dem Strudel der Besserwisserei und Selbstbestätigung nicht entziehen können und in den Abgrund hasserfüllter Rhetorik hinabgerissen werden. Und die ersten Tage nach der Übernahme durch Musk verheißen nichts Gutes.

Die Ordnungsfrage

Doch viel schlechter kann es durch die Übernahme von Musk auf Twitter eigentlich nicht mehr werden. Twitter war nie ein vornehmes Forum demütiger, unvoreingenommener Wahrheitssuche. Und doch gibt der Kauf von Twitter durch Musk Anlass zu einem „Ordnungsruf“. Und zwar aus zwei Gründen: 1. Der Einfluss (a-)sozialer Medien erreicht mittlerweile bedenkliche Ausmaße. In den USA informieren sich große Teile der Jugend ausschließlich über Facebook. Mark Zuckerberg hat immer wieder bestritten, ein Medium im Sinne des Presserechts zu sein oder sein zu wollen. Aus guten Gründen: Denn das würde ihn zu weitgehenden Maßnahmen zur Regulierung der Inhalte verpflichten.

In Demokratien wird Wahrheit nicht von oben verkündet, sondern es wird um sie gerungen und gestritten. Demokratien können daher niemals die Wahrheit direkt verteidigen, sondern nur die Voraussetzungen, unter denen wir uns der Wahrheit nähern können. Das sind einerseits die unbedingte Freiheit des Individuums und seiner bedingten Mündigkeit und andererseits die unverletzte Pluralität des verletzlichen Diskurses. 2. Elon Musk baut, fast unbemerkt, ein eigenes Satellitensystem auf, mit dem er fast die gesamte Welt mit einem Zugang zu globaler Kommunikation versorgen kann. Vor einigen Wochen stellte Musk seinen „Starlink“ den Menschen in der Ukraine zur Verfügung, nachdem die Russen ihnen in einigen Gebieten das Netz kaputtgebombt hatten. Jetzt liebäugelt er mit Twitter. Damit würde sich Macht in den Händen einer privaten Person konzentrieren, wie einst bei dem Medienmogul Rupert Murdoch.

Rupert Murdoch drawn on newspaper
Der australische Medien-Tycoon Rupert Murdoch schuf seit den Fünfzigerjahren ein weltumspannendes Zeitungsimperium.

Die digitale Zukunft nutzt neue Infrastrukturen – im übertragenen Sinne auf Straßen, Leitungen und Schienen, im konkreten Sinne auf Plattformen, Satellitensystemen und Sozialen Netzwerken. Das alles darf sich in privatem Eigentum befinden, allerdings nicht unreguliert. Es ist nicht gut, wenn der Staatsanwalt auch der Richter ist, wenn der Organisator der Regulator und der Eigentümer von Netzwerkinfrastruktur zugleich der Betreiber ist. Wettbewerb wird verdrängt, Macht konzentriert sich. Ob Musk nun ein guter oder schlechter Mensch ist, sein Motiv kommerziell oder altruistisch, ist dabei nicht entscheidend. Weder ein System der Oligarchen noch der Tycoons ist ein gutes. Der Mechanismus ist der gleiche: Macht durch privilegierte Zugänge.

Die Europa-Perspektive

Hat der Twitter-Deal von Musk Auswirkungen auf Europa? Nicht unmittelbar. Und doch ist der Deal von großer symbolischer und auch politischer Bedeutung für Europa. Parlament, Rat und Kommission haben sich am 23. April 2022 auf den Digital Services Act (DSA) geeinigt, der ein Meilenstein der Regulierung des digitalen Europas ist und eine Art Grundgesetz des Internets sein soll. Reicht das aber?  Es wäre eine gefährliche Illusion zu glauben, man könne das Internet kontrollieren oder gar von Hass und Desinformation befreien. Wenn man Digitalisierung zu Ende denkt und an die gewaltigen Datenmengen, die dann von Quantencomputern verarbeitet werden, dann wird klar, dass es völlig neuer Ansätze bedarf.

Wenn Trump 2024 wieder antritt, wird Musk dann höchstpersönlich den Account wieder freigeben? Oder ihn dauerhaft verwehren? Beides wäre aus offensichtlichen Gründen problematisch. Europa wird sich regulatorisch nicht komplett entkoppeln können, so wenig wie andere Digitalräume von Europa. Wenn Europa digitale und technologische Souveränität anstrebt, und das sollte es, denn die Abhängigkeit von Servern und digitalen Diensten ist bereits jetzt immens und das Risiko von Cyber-Attacken mit allen Folgen für Freiheit und Demokratie hoch, dann muss Europa endlich anfangen, die regulatorischen, technischen und infrastrukturellen Bedingungen auf dem Europäischen Binnenmarkt für digitale Geschäftsmodelle, Plattformen und Innovationen zu verbessern. Der globale Kampf um den Cyberspace hat längst begonnen. Auch dieses Thema gehört zur „Zeitenwende“ und damit auf eine europäische Sicherheitsagenda. Demokratien müssen zu ihrer eigenen Verteidigung von Sicherheit und Wohlfahrt den Anspruch erheben, führend in Technologien und Infrastruktur zu sein. Israel tut das, Europa sollte es auch.

Der „Ordnungsruf“ geht an die europäische Digitalpolitik, die Zeichen der Zeit zu erkennen, die mit dem Twitter-Deal von Musk um eines mehr geworden sind, und die Vielzahl der langsam unübersichtlichen Gesetzgebungsvorhaben und Richtlinien um eine europäische Technologie- und Infrastruktur-Offensive zu ergänzen. Wer die Technologie beherrscht und die Infrastrukturen besitzt, hat die Macht. Daran wird am Ende bloße Regulatorik nichts ausrichten können.


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