Die doppelte Transformation: Digitalisierung und Nachhaltigkeit

Die Europäische Union (EU) steht vor der ehrgeizigen Herausforderung, gleichzeitig die Digitalisierung voranzutreiben und für mehr Nachhaltigkeit zu sorgen. Dies damit einhergehenden Bemühungen, oft auch als „doppelte Transformation“ bezeichnet, steht im Zentrum der politischen Agenda der Kommission unter der Leitung der wiedergewählten Präsidentin Ursula von der Leyen. Das Ziel ist klar: Europa soll sowohl grüner als auch digitaler werden, um den aktuellen wirtschaftlichen und geopolitischen Anforderungen gerecht zu werden. Doch lassen sich diese beiden Bestrebungen immer unter einen Hut bringen?

Der steigende Energieverbrauch digitaler Technologien

Seit Beginn des 20. Jahrhunderts hat die globale Wirtschaftsproduktion im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt einen abnehmenden Energie- und einen zunehmenden Informationsverbrauch verzeichnet. Die heutige Digitalisierung bringt jedoch eine paradoxe Herausforderung mit sich: Während digitale Technologien das Potenzial haben, ökologische Ziele zu unterstützen, erhöhen sie gleichzeitig den Energieverbrauch. Der Einsatz von Rechenzentren, Kryptowährungen und Künstlicher Intelligenz (KI) wird den weltweiten Strombedarf in den nächsten drei Jahren voraussichtlich verdoppeln.

Die EU als Katalysator für eine nachhaltige Wirtschaft

Trotz dieser Herausforderungen sieht die EU die Digitalisierung als Katalysator für eine nachhaltige und wettbewerbsfähige Wirtschaft. Digitale Technologien können die Ressourcennutzung optimieren, Energienachfrage besser vorhersagen und den Einsatz erneuerbarer Energien unterstützen. Schätzungen gehen davon aus, dass digitale Technologien bis zu 20 Prozent der bis 2050 notwendigen Emissionsreduktionen erbringen können. Doch die Digitalisierung hat auch ihre Schattenseiten: Ihren eigenen CO2-Fußabdruck. Der Energieverbrauch und die Produktion von Elektroschrott, die mit digitalen Infrastrukturen einhergehen, bedürfen einer kritischen Betrachtung.

Fallstudien: Generative KI und digitaler Euro

In jüngster Zeit haben sich zwei digitale Technologien besonders hervorgetan: Generative KI-Modelle sowie die Einführung digitaler Zentralbankwährungen (Central Bank Digital Currencies, CBDC), wie sie auch die Europäische Zentralbank (EZB) mit dem digitalen Euro plant. Während die EU-Politik häufig die positiven Umweltauswirkungen von KI hervorhebt, zeigen empirische Daten, dass dieser Optimismus nicht immer gerechtfertigt ist. Beim digitalen Euro stehen Entscheidungen über dessen technische Ausgestaltung und den Kreis der involvierten Marktakteure (z.B. Zahlungsdienstleister, Verbraucher, Händler) an, die für den ökologischen Fußabdruck der neuen Digitalwährung maßgeblich sein werden. Daher betrachten wir diese beiden Technologien als Fallbeispiele.

Generative KI – Hype ohne Verantwortung?

Die wachsende Popularität von generativen KI-Modellen wie OpenAI ChatGPT deutet auf einen Wendepunkt in der breiten gesellschaftlichen Integration von Produkten des maschinellen Lernens hin. Diese „Basismodelle“ versprechen erhebliche wirtschaftliche und soziale Fortschritte, ähnlich wie frühere Grundsatztechnologien wie die Dampfmaschine oder die Elektrizität, und verbreiten sich exponentiell.

Doch an der Entwicklung und Umsetzung der zugrundeliegenden Sprachmodelle sind eine Vielzahl von Akteuren beteiligt, wodurch sich die Verantwortung für nachhaltige Praktiken über den gesamten Lebenszyklus der Systeme verteilt. Dies reicht von der anfänglichen Problemformulierung und dem Datenmanagement bis hin zum Modelltraining, dem Testen und dem Einsatz. Diese komplexe Struktur der KI-Wertschöpfungskette hatte bereits zu konzeptionellen Problemen bei der Ausarbeitung des EU-KI-Gesetzes geführt.

Umweltauswirkungen von KI-Modellen

Um den ökologischen Fußabdruck moderner KI-Modelle zu verstehen, ist es sinnvoll, ihren Lebenszyklus in zwei Hauptphasen zu unterteilen: das Training und die Nutzung (Inferenz). Die Forschung und die Medien haben sich bisher hauptsächlich auf die Trainingsphase konzentriert, da sie einen greifbareren Teil des Modelllebenszyklus darstellt. Aber auch die Inferenzphase, also die Nutzung der Modelle in Produkten und Dienstleistungen, hat erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt, da immer mehr Menschen KI-Anwendungen in ihren Alltag einbinden.

Die hohe Rechenleistung, die für das Training großer Modelle erforderlich ist, führt zu erheblichen direkten CO2-Emissionen. Beispielsweise verursachte das Training des offenen Sprachmodells BLOOM mit 176 Milliarden Parametern geschätzte 24,7 Tonnen CO2-Äquivalente. Neuere Modelle wie GPT-4 verursachen noch höhere Emissionen, was die Notwendigkeit energieeffizienter Praktiken beim Training dieser Modelle unterstreicht.

Auch nach dem Training haben KI-Modelle einen täglichen CO2-Fußabdruck, da sie weiterhin Strom für die Inferenz benötigen. Im Januar 2023 hat ChatGPT beispielsweise so viel Strom verbraucht wie 175.000 Menschen. Da generative KI immer mehr an Bedeutung gewinnt, wird sich dieses Problem weiter verschärfen. Prognosen zufolge könnten KI-Server im Jahr 2027 jährlich zwischen 85 und 134 Terawattstunden (TWh) Strom verbrauchen, was etwa 0,5 % des derzeitigen weltweiten Stromverbrauchs entspricht.

Die KI-Gesetzgebung der EU zielt in erster Linie darauf ab, Sicherheitsrisiken zu mindern und Grundrechte zu schützen. Dennoch müssen Anbieter von Hochrisiko-KI-Systemen fortan über ihren Energieverbrauch Bericht erstatten. Die derzeitigen Maßnahmen zur Verringerung der Umweltauswirkungen von KI-Systemen sind jedoch begrenzt und unzureichend. Es besteht dringender Bedarf an der Entwicklung von Standards für den Energieverbrauch von KI-Modellen, einschließlich der Inferenz.

Die Zukunft des digitalen Euro – aus ökologischer Sicht

Die EZB plant noch, in diesem Jahrzehnt einen digitalen Euro herauszugeben. Er hätte als zusätzliches Zahlungsmittel, welches physisches Bargeld als bestehendes Zentralbankgeld ergänzen soll, das Potenzial die Zahlungsmärkte in der Eurozone grundlegend zu verändern. Während die technologischen und wirtschaftlichen Vor- und Nachteile dieses künftigen digitalen Zahlungsmittels bereits umfassend diskutiert wurden, verdienen die ökologischen Auswirkungen ebenso viel Aufmerksamkeit.

Potenzial und Designentscheidungen

Der digitale Euro ist nicht primär dafür gedacht, bereits bestehende Zahlungslösungen in der EU (z.B. VISA, PayPal, Bargeld) zu ersetzen. Stattdessen würde eher eine moderne Ergänzung zu diesen  geschaffen. Diese zusätzliche Zahlungsoption und die damit verbundene Infrastruktur machen ein durchdachtes Design unerlässlich, um die mit ihr einhergehenden Umweltauswirkungen auf ein Minimum zu reduzieren. Bevor sie jedoch überhaupt etabliert wird, sollte zunächst erst einmal geprüft werden, ob überhaupt ein echter Bedarf für ein neues öffentliches Zahlungsmittel im Euroraum besteht. Erst wenn man von der Notwendigkeit eines digitalen Euro absolut überzeugt ist, sollte er überhaupt eingeführt werden. Sodann gilt es zu prüfen, ob überhaupt und in welcher Form und Ausgestaltung ein digitaler Euro auch tatsächlich einen Beitrag für einen digitalen und gleichzeitig grünen Übergang leisten kann.

Technologische Konfiguration und Ernegieverbrauch

Allen voran ist die Wahl der technischen Konfiguration entscheidend für den ökologischen Fußabdruck des digitalen Euro. Eine dezentrale Lösung auf Basis des Proof-of-Work-Verfahrens (POW), die bei vielen Kryptowährungen (z.B. Bitcoin) zum Einsatz kommt, wäre aus energetischer Sicht besonders problematisch. Der immense Energieverbrauch solcher Systeme, vergleichbar mit dem eines ganzen Landes, macht sie aus ökologischer Sicht unattraktiv. Eine zentralisierte Lösung könnte dagegen den Energieverbrauch erheblich reduzieren, da einfachere Konsensalgorithmen verwendet werden könnten, die weniger Rechenleistung benötigen. Eine solche Struktur würde etwa achtmal weniger Energie verbrauchen als eine dezentrale Lösung.

Ein weiterer entscheidender Faktor ist die Wahl der Energiequellen für den Betrieb des digitalen Euro. Die Umweltbilanz hängt stark davon ab, ob erneuerbare Energien wie Solar- oder Windenergie genutzt werden. Bei einem zentralen System hätte die Europäische Zentralbank (EZB) die Möglichkeit, den Energiemix zu steuern und sich für umweltfreundlichere Optionen zu entscheiden. Die Wahl einer zweistufigen Struktur, bei der die EZB den digitalen Euro begibt und Banken und andere Zahlungsdienstleister ihn sodann unters Volk bringen, könnte ebenfalls zu einem höheren Energieverbrauch führen. Mehr Akteure bedeuten mehr Rechenkapazität und den Rückgriff auf zusätzliche Infrastrukturen, was die Nachhaltigkeit negativ beeinträchtigen könnte.

Online- und Offline-Versionen

Die Einführung sowohl einer Online- als auch einer Offline-Version des digitalen Euro würde die Komplexität des Systems und damit auch die Umweltauswirkungen noch weiter erhöhen. Während die Online-Version auf bestehende digitale Lösungen wie Smartphones zurückgreifen könnte, was den Energieverbrauch minimieren würde, könnten für die Offline-Version neue physische Karten oder Geräte erforderlich sein, deren Herstellung zusätzliche Ressourcen verbraucht. Auch die Verfügbarkeit mehrerer Front-End-Dienste für die Nutzung des digitalen Euro könnte zu einem höheren Energieverbrauch führen, da mehrere Lösungen miteinander kompatibel sein müssen.

In der Tat gibt es mehrere weitere Faktoren, die berechtigte Sorgen hinsichtlich der ökologischen Auswirkungen der CBDC hervorrufen. Allein die mehrjährige Entwicklungs-, Forschungs- und Testphase der EZB führt bereits zu hohem Energieverbrauch und Kosten. Das bedeutet, dass die Vorbereitung des digitalen Euro schon vor seiner ersten Ausgabe einen negativen CO2-Fußabdruck hinterlässt.

Wie sollte die EU reagieren?

Die bereits in die Wege geleitete Entwicklung einheitlicher Standards zur Messung der gesamten Lebenszyklusemissionen digitaler Technologien muss energisch vorangetrieben werden. Ein einheitliches Bewertungssystem diverser digitaler Lösungen, insbesondere generativer KI und verschiedener Zahlungsmittel, einschließlich eines möglichen digitalen Euro, würde eine transparentere und vergleichbarere Analyse der Umweltauswirkungen ermöglichen. Dies könnte in Zusammenarbeit mit externen Expertenteams aus der Klimaforschung geschehen, um die Nachhaltigkeit neuer KI-Modelle oder Digitalwährungen zu validieren.

Die EU hat mit der Verordnung zur grünen Taxonomie zudem einen Rahmen geschaffen, um wirtschaftliche Aktivitäten als ökologisch nachhaltig zu klassifizieren. Durch eine stärkere Einbindung der IKT-Sektoren in diese Taxonomie kann Kapital gezielt in nachhaltige digitale Infrastrukturen gelenkt werden, was langfristig zu einer Verringerung des ökologischen Fußabdrucks beitragen könnte.

Ein oft vernachlässigter Bereich ist die Optimierung von Software. Durch sogenannte „Green Coding“-Praktiken kann der Energieverbrauch von Software erheblich reduziert werden. Dazu gehören die Verschlankung von Codebasen und die Vermeidung unnötiger Open-Source-Pakete. Öffentliche Unterstützung und finanzielle Anreize könnten diese Praktiken verstärken und gleichzeitig die Cybersicherheit verbessern. Diese Forschungsförderung sollte auch den Bereich energieeffizienter KI-Hardware und kleinerer Sprachmodelle umfassen. Durch gezielte Förderung kann die EU ihre Wettbewerbsfähigkeit im Technologiebereich stärken und gleichzeitig die Umweltauswirkungen minimieren.

Fazit: Eine umweltfreundliche digitale Zukunft ist möglich

Unsere Untersuchung der ökologischen Auswirkungen von generativer KI und des digitalen Euro zeigt, dass digitale Technologien auch Herausforderungen für die Nachhaltigkeit mit sich bringen, die allzu oft übersehen oder ignoriert werden. Um das EU-Ziel der „doppelten Transformation“ zu erreichen, müssen politische Entscheidungsträger einen ganzheitlichen Ansatz verfolgen, der technologischen Fortschritt mit ökologischen Schutzmaßnahmen in Einklang bringt. Die vorgeschlagenen Maßnahmen und Standards zielen darauf ab, eine nachhaltigere Zukunft zu gestalten, in der digitale Technologien verantwortungsvoll und effizient eingesetzt werden.

 

Bemerkung: Dieser Essay basiert auf der englischsprachigen cepStudie Nr. 6/2024, die unter dem Titel „Environment Takes a Backseat in EU Digital Push“ erschienen ist und hier heruntergeladen werden kann: https://www.cep.eu/eu-topics/details/environment-takes-a-backseat-in-eu-digital-push.html.

Anselm Küsters ist Fachbereichsleiter Digitalisierung / Neue Technologien am Centrum für Europäische Politik (cep) in Berlin. Als assoziierter Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Rechtsgeschichte und Rechtstheorie in Frankfurt am Main und als Habilitand an der Humboldt-Universität zu Berlin forscht er im Bereich der Digital Humanities.

Anastasia Kotovskaia ist Fachbereichsleiterin Finanzmärkte & Informationstechnologien am Centrum für Europäische Politik (cep) in Berlin.

Philipp Eckhardt ist Fachbereichsleiter Finanzmärkte & Informationstechnologien am Centrum für Europäische Politik (cep) in Freiburg.


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